Sauer macht… genau – ziemlich lustig. Und wenn uns das Leben Zitronen gibt, machen wir eben Limonade draus. Oder eine andere Köstlichkeit. Clarissa Hyman über die Talente der Zitrusfrüchte
Recipes
Zitronenhähnchen mit grünen Oliven und eingelegten Zitronenscheiben
Zitronentarte
Zitronensorbet in der Schale
„Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?“, schrieb einst Italienliebhaber Johann Wolfgang von Goethe. Und es könnte wohl keinen besseren Ausgangspunkt für diese kulinarische Spritztour geben als die Küstenstadt Sorrent auf der gleichnamigen Halbinsel am Golf von Neapel. Dieses Sehnsuchtsziel vieler Italienreisenden an der Amalfiküste ist bekannt für seine Zitronen. Sie reifen an den steilen Hängen und bilden mit ihrem leuchtenden Gelb einen traumhaften Kontrast zum kristallklaren Meer und den pastellfarbenen Häusern entlang des 50 Kilometer langen Küstenabschnitts. Seit dem 17. Jahrhundert werden die Zitrusfrüchte hier angebaut. Aufgrund ihrer fantastischen Qualität können die Produzenten dort oft den doppelten Preis für die duftenden Vitaminbomben verlangen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die saure Spezialität sogar an der New Yorker Börse gehandelt. Und seit dem Jahr 2000 tragen die Früchte, die auf der Halbinsel von Sorrent und der Insel Capri angebaut werden, die von der EU kontrollierte Bezeichnung Limone di Sorrento IGP. Der größte Teil der Zitronen – in Kampanien erntet man vom Frühling bis zum Herbst – wird zur Herstellung des berühmten Limoncello verwendet. Da Zitronen aber auch nördlich und südlich des Äquators bestens gedeihen, sind sie problemlos das ganze Jahr erhältlich. Eine der wohl bekanntesten Sorten ist die Eureka. Sie stammt ursprünglich aus Sizilien und wurde 1858 nach Kalifornien eingeführt, wo sie heute hauptsächlich angebaut wird. Ursprünglich stammt die Zitrone allerdings aus Asien, und mit fast drei Millionen Tonnen gehört Indien heute zu den größten Zitronenproduzenten auf der Welt.
Im alten Rom kannte man die Zitrusfrüchte eher als ein interessantes Dekoobjekt oder Duftspender. Mit dem Beginn der arabischen Herrschaft in Spanien im Jahr 711 – die Araber gaben der Halbinsel damals den Namen Al-Andalus – kam auch ihr Wissen zum Anbau, zur Bewässerung und zur Verwendung der Zitrusfrucht in der Küche nach Europa. Selbst wenn einige Europäer anfangs skeptisch waren, etablierte sich die Zitrone. Auf diversen Stillleben niederländischer Künstler finden sich Zitronen. Die spiralförmigen Zitronenschalen liegen auf Gold-, Silber- und Zinnplatten. Auf diese Art sollte einerseits ihre Verwendung als Aromaspender – beispielsweise für Spirituosen – dargestellt werden. Andererseits galt die Zitrone als Zeichen für Wohlstand. In der deutschen Sprache war sie übrigens über Jahrhunderte unter dem Namen Limone bekannt – nicht zu verwechseln mit der kleineren, grünen Limette – und wird auch heute in einigen Regionen Österreichs noch so genannt. Wie der englische Ausdruck Lemon und das spanische Wort Limon ist der Begriff vom arabischen Laimun und dem persischen Limu abgeleitet. Eines der ersten Rezepte, in dem Zitronen als Zutat erwähnt wurden, stammt von dem Mailänder Cristoforo di Messisbugo aus dem 16. Jahrhundert. Der Küchenchef des Erzbischofs servierte marinierten Glattbutt mit Zitronenscheiben. In Frankreich sorgte der bedeutende Koch und Autor François-Pierre de La Varenne für die Popularität der Zitrone: Er verabschiedete sich von den mächtigen Eintöpfen des Mittelalters und kreierte Saucen aus Fleischsaft – unter Zugabe von Zitronensaft und Essig.
Heute will kaum noch jemand in der Küche auf die saure Frucht verzichten: Ob ihr Saft oder die Schale – das Aroma verleiht zahlreichen Gerichten den nötigen Pfiff, fungiert als Säuerungsmittel und als Geschmacksverstärker. Besonders beliebt ist Zitronenaroma bei Gerichten mit Fisch, Schalentieren und Huhn. Auch mit Kräutern, Ölen, Kapern und Knoblauch harmonieren die Zitrusfrüchte perfekt. Und selbstverständlich dürfen eingelegte Zitronen in einer nordafrikanischen Tajine nicht fehlen. Für eine Ceviche schätzen Köche den Zitronensaft, in dem der weiße Fisch sozusagen „gar zieht“. Wer verhindern möchte, dass Obst oxidiert und unschöne braune Stellen bekommt, schützt es mit – logisch – einigen Spritzern Zitronensaft. Und was wären bloß all die Kuchen und Desserts ohne Zitrone? Oder ein heißer Sommertag ohne eine eiskalte Zitronenlimonade? Wir verstehen uns wohl – die gelben Früchte sind einiges mehr als nur ein Vitamin-C-Lieferant.
Apropos Gesundheit: Laut eines britischen Sprichworts heißt es: „An apple a day keeps the doctor away.“ Die Spanier sind dagegen überzeugt: Eine gesunde Dosis Knoblauch, Zwiebel und Zitrone reicht auch aus, um Pillen und Ärzten „adiós“ zu sagen. Der Vitamin-C-Gehalt von Zitronen schützte schon Seeleute vor Jahrhunderten vor Skorbut. Heute werden die löslichen Ballast- und Pflanzenstoffe der Frucht auch zur Regulierung des Blutdrucks genutzt.
Um möglichst viel Saft aus einer Zitrone zu quetschen, sollte sie bei Raumtemperatur gelagert und vor dem Gebrauch fünf Minuten in kochendes Wasser gelegt werden. Am besten eigenen sich dafür unbehandelte Früchte. Im Kühlschrank lassen sich die Zitronen für einige Wochen aufbewahren. Es gibt also keine Ausrede mehr, auf den Saft aus der kleinen gelben Plastikflasche zurückzugreifen, dessen Geschmack mit dem Original kaum Gemeinsamkeiten hat.
Ach ja, und wenn einem das Leben Zitronen gibt, können wir Limonade daraus machen. Oder nach Wodka und Tequila fragen. Beides macht ganz sicher lustig.
REZEPTE UND FOODSTYLING: LINDA TUBBY. FOTOS UND REQUISITENSTYLING: ANGELA DUKES
Wit and Wisdom
- Zitronenbäume können bis zu 275 Kilogramm Früchte pro Jahr produzieren.
- Die britische Marine hat bestimmt, dass so viele Zitronen an Bord ihrer Schiffe sind, dass jedes Crewmitglied 30 ml Saft pro Tag erhält.
- Etwas Zitronensaft auf anderen Früchten verhindert, dass diese braun werden.
- Im viktorianischen England war der Anbau von Zitronenbäumen ein Zeichen von Wohlstand und Prestige.
{publish-date}