Hering In Season

Eat British produce when it’s at its best.

Hering

Unsere holländischen Nachbarn sind völlig verrückt nach ihnen. Und auch wir lieben Rollmops, Matjesbrötchen & Co. Warum? Das weiß Clarissa Hyman ...

Du packst den Fisch an seiner Schwanzflosse, stippst ihn in gewürfelte Zwiebeln, legst den Kopf in den Nacken, hältst den Fisch in deinen geöffneten Mund und beißt ab – als wärst du ein Seelöwe bei der Fütterung“, instruiert mich mein holländischer Experte. Ich probiere den ersten Hering der Saison – und fühle mich tatsächlich ein wenig wie bei einer Raubtierfütterung. Abgesehen davon, dass die im Anschluss nicht mit Schnaps nachspülen. Da reicht mir mein Guide schon das nächste Exemplar. Es ist Vlaggetjesdag, also Fähnchentag, in Schevingen, einem früheren Fischerdorf am Rande von Den Haag, das heute das größte Seebad der Niederlande ist. An diesem Tag wird hier das erste Fässchen Hollandse Nieuwe versteigert und der Beginn der neuen Heringssaison gefeiert. Kein Wunder, sorgte der frühere Arme- Leute-Fisch doch einst für einen regel- rechten Wirtschaftsboom. Aber auch in Deutschland, der zweitgrößten Matjes-Nation der Welt, wird der erste Heringsfang zelebriert. Insgesamt werden hierzulande pro Jahr rund 180 Millionen Stück verspeist – damit sind wir der größte Ab- nehmer für die holländische Delikatesse.

Jeder Matjes ist übrigens ein Hering – aber nicht jeder Hering ein Matjes. Verwirrt? Ganz einfach: Echter Matjes (vom holländischen Meisjes, was „Mädchen“ bedeutet) ist ein noch nicht geschlechtsreifer Hering, der zu Matjes veredelt wird. Daher dauert seine Saison auch nur zwei Monate. Während der restlichen Zeit wird Hering nach Matjesart angeboten.
Die Veredelung zum Matjes erfolgt nach einer Methode, die 1395 eher zufällig von dem Niederländer Wilhelm Beukelzoon entdeckt wurde. Um die Fische noch an Bord ausnehmen und haltbar machen zu können, verwendete er den sogenannten Kehlschnitt, bei dem die Innereien entfernt werden, die Bauchspeicheldrüse aber im Körper bleibt. Während der Hering an- schließend mit Salz in Holzfässern liegt, sorgen die natürlichen Enzyme des Organs dafür, dass er zum zarten Matjes reift. So erfand Beukelzoon den Matjes und legte gleichzeitig die Basis für das jahrhunderte- lange Heringsmonopol der Holländer. Da der Fang nämlich länger frisch blieb, konnten die Fischer länger zur See fahren und so mehr als die Konkurrenz fangen.

Heute wird Hering direkt nach dem Fang schockgefroren, sodass er das ganze Jahr über frisch verarbeitet werden kann, ohne an Qualität zu verlieren. Der erste Matjes der Saison wird für zwei bis vier Wochen eingelegt, wobei ein guter Fischhändler ihn direkt aus dem Fass kauft. Dann wird er gereinigt, Kopf, Bauchspeicheldrüse und Wirbelsäule ohne Schwanzflosse werden entfernt. So entstehenzwei Filets, die am Ende zusammengehalten werden. Zu seinem leicht salzigen Geschmack passen Zwiebeln perfekt. Einfach köstlich: Matjesbrötchen. Für ein besonders gutes steht man in Hamburg auch gern mal länger an. Zu den besten Fischbuden gehört die Brücke 10 an den Landungsbrücken. Dort sind die Brötchen kross, der Matjes ist perfekt, die Schlange oft lang. Ein weiterer Hanse-Hotspot ist Nuggi’s Elbkate am Museumshafen. Hier werden die Brötchen erst nach der Bestellung belegt. Das kann zwar manchmal etwas dauern, schmeckt aber dafür viel frischer. Dazu ein Bier und den Blick auf die Elbe – nordischer geht’s nicht.
Im Winter haben Heringe übrigens nur einen geringen Fettanteil. Das ändert sich im Frühling, wenn mehr Plankton im Meer schwimmt und sich die Tiere auf die Fortpflanzung vorbereiten. Dann liegt ihr Fettgehalt bei 16 bis 20 Prozent.

Neben dem beliebten Matjes gibt es aber noch zahlreiche weitere, vor allem in Deutschland beliebte Spezialitäten: Der Bismarckhering zum Beispiel wird in einer säuerlichen Marinade aus Essig, Öl, Zwiebeln und Gewürzen eingelegt. Der Rollmops wird ebenfalls sauer eingelegt und um ein Stück Gewürzgurke, manch- mal auch um eine Zwiebelspalte, gewickelt. Bratheringe werden, wie der Name schon sagt, erst gebraten und dann eingelegt. In Frankreich steht in klassischen Brasserien oft geräucherter Hering mit Kartoffeln in Öl auf der Speisekarte. Die Skandinavier baden ihren Hering in verschiedenen Marinaden und essen ihn dann mit Salzkartoffeln, Sauerrahm und Schnittlauch. Zur Mittsommernacht servieren sie den Fisch mit gekochten Eiern.
Als sehr speziell dürfte wohl die Konservierungsmethode der Nordschweden gelten: Surströmming heißt die Fischspeise, für die Heringe über viele Monate in Dosen verpackt gären, sodass sich Deckel und Boden nach einiger Zeit prall nach außen wölben. Definitiv nichts für schwache Mägen und Nasen, für hartgesottene Gourmets aber eine Delikatesse.

Zurück zum frischen Fisch: Heringe leben in großen Schwärmen und kommen zum Laichen in die Nähe der Küste. Durch ihr silbern glänzendes Aussehen erkennt man sie oft mit bloßem Auge im Wasser. Vermutlich würde ein schlafloser Fischer eher Heringe als Schafe zählen. Aber wie auch bei anderen Arten gibt es mittlerweile Probleme wegen der Überfischung. Also beschlossen die EU-Minister im vergangenen Jahr, die in der westlichen Ostsee bis dahin genehmigten Fangquoten für Heringe 2018 um ganze 39 Prozent zu senken. Ein großes Problem für Küstenfischer, ein Hoffnungsschimmer für Umweltschützer – und für mich ein weiterer Grund, diese zarte Köstlichkeit noch mehr zu schätzen. Schnell schnappe ich mir noch ein Exemplar von den wunderbar frischen Hollandse Nieuwe, lehne meinen Kopf zurück und genieße.

Wit and Wisdom

  • Saison: Ganzjährig, Hauptfangzeit ist aber von Juni bis Ende August/September
  • Züchtung: keine
  • Mindestgröße: 20 cm
  • Omega-3-Gehalt: sehr hoch
  • Fangmethode: Schleppnetze auf hoher See
  • Fanggebiete: Nordatlantik und Ostsee sowie Nordpazifik und vor der Westküste Südamerikas
  • Vor allem der Rollmops gilt als Wunderwaffe gegen den Kater nach einer langen Partynacht.
  • Ob der Bismarckhering seinen Namen von Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–1898) hat? Das ist eine von vielen Theorien. Angeblich sagte er einst: „Wenn Heringe genauso teuer wären wie Kaviar, würden die Leute ihn wesentlich mehr schätzen.“
  • Heringe kommunizieren, indem sie Luft aus ihrer Schwimmblase pressen. Mit diesen Geräuschen verwirrten sie die schwedische Marine, die dachte, sie kämen von feindlichen U-Booten.
{publish-date}



Werben Sie bei uns

Erreichen Sie die wichtigsten Entscheidungsträger und Trendsetter in Sachen Food, Wein und Reisen.

Finden Sie heraus, wie Sie Ihre Marke bei der vielreisenden, kaufkräftigen Premium-Leserschaft und den Liebhabern von gutem Essen, Wein und Reisen erfolgreich in den Vordergrund stellen. Kombi-Buchungen über unsere internationalen Ausgaben verfügbar in Deutschland, Österreich, Schweiz, den United Kingdom, Italien, Mexiko, der Republik Türkei sowie im Arabischen Raum.