Kein Festessen ohne die luxuriösen Schalentiere, die uns gedanklich ans Meer entführen, findet auch Clarissa Hyman
Recipes
Austern à la Rockefeller
Austern in einer Champagner-Suppe
Austern mit Schalotten und Forellenkaviar
Sie riechen nach Meer, schmecken leicht salzig und sind für Gourmets eine edle, aber auch kostspielige Delikatesse. Kaum vorstellbar, dass der einstige römische Kaiser Vitellius regelmäßig um die 1200 Austern auf einmal verzehrt haben soll – vielleicht lag es daran, dass er nach kaum einem Jahr an der Macht starb. Casanovas Tagesration von 50 Stück wirkt dagegen fast lächerlich. Was die Herren zu den heutigen Mengen gesagt hätten?
Feinschmecker genießen meist nur ein Dutzend als Vorspeise, wobei die Austern noch leben müssen, wenn sie roh verspeist werden, sonst droht Vergiftungsgefahr. „Kenner erwarten ein leichtes Zucken, wenn sie die Austern mit Zitronensaft beträufeln“, sagte ein amerikanischer Zoologe einmal. „Denn das ist der beste Beweis dafür, dass die Ware auch wirklich frisch ist.“
Früher gab es in Europa zahlreiche Austernbänke. Die Perlen des Meeres wurden von Skandinavien bis Griechenland gezüchtet, in England führen sogar einige Spuren von der Küste bis ins Inland. Vermutlich transportierten die Römer sie in Wassertanks dorthin. Und auch nach Rom selbst wurden die Austern befördert – ein Beweis für ihre gute Qualität. Im ältesten erhaltenen Kochbuch der Antike, verfasst von Apicius, findet sich dieses Rezept für ein Auster-Dressing: Pfeffer, Liebstöckel, Eigelb, Essig, Garum (eine Art römische Fischsauce), Öl und Wein. Auch der römische Philosoph Seneca war überzeugt, dass Austern zwar keine ausreichende Mahlzeit sind, „aber selbst, wenn jemand eigentlich satt ist, kann er diese edlen Meeresfrüchte immer noch verdrücken.“
Während der Regentschaft der britischen Königin Elisabeth I. waren Austern sowohl bei den armen als auch bei den reichen Menschen Europas sehr beliebt, da sie sogar im Brackwasser bis zu zwölf Tage überleben können. Viele Hausfrauen konservierten sie damals in Essig, große Exemplare wurden mit Kräutern und Gewürzen geschmort oder in einer Pastete verarbeitet. Während dieser Zeit wagte man sich auch an die Kombination von Fisch und Fleisch: Kapaun wurde mit Austern und eingelegten Zitronen zubereitet, gehackt kamen die Muscheln mit Maronen in die Truthahn-Füllung.
Auch im Viktorianischen Zeitalter waren Austern quer durch alle Gesellschaftsschichten äußerst beliebt. Mal landeten sie in Eintöpfen und Suppen, mal wurden sie gedünstet oder gebraten. Der hohe Bedarf blieb nicht ohne Folgen: Wilde Austern sind heutzutage eine Rarität. Wenn überhaupt, dann findet man sie vereinzelt an Felsen. In den zahlreichen Austernbänken hingegen gedeihen sie zuhauf an speziellen Platten und Seilen. Die Methode stammt aus dem alten Griechenland.
Weltweit gibt es viele verschiedene Arten. Die europäische Variante ist flach, hat einen intensiven, süß-salzigen Geschmack und eine feste Textur. Neben den Meeresfrüchten aus der einzigen deutschen Zucht auf Sylt sind auch die Exemplare aus Whitstable, Colchester und Südirland beliebt.
Für die Zucht wird überwiegend die Pazifische Auster (Gigas) benutzt. Sie wächst schnell und stammt ursprünglich aus Japan. Auch die bei Gourmets in aller Welt so begehrte kleine Kumamoto-Auster kommt aus dem Pazifikstaat.
Die ersten Restaurants, die sich auf Austern spezialisierten, eröffneten im 19. Jahrhundert in den USA. Wer nach New York reist, sollte unbedingt die Grand Central Oyster Bar besuchen, die es seit 1913 gibt und über die der Food-Autor Waverley Root einmal schrieb: „Weniger die Herkunft der Austern, sondern vor allem die Umgebung und das Ambiente sorgen für ein ganz besonderes Erlebnis.“
Früher wurden Austern übrigens nur in den sogenannten R-Monaten gegessen, also von September bis April, da sie in sommerlich warmen Gewässern schneller verderben. Zudem behalten viele Arten ihre Eier bis zur Befruchtung in der Schale, wodurch sie unangenehm schmecken. Das gilt allerdings nicht für die Portugie- sischen, Pazifischen und Amerikanischen Austern, die mittlerweile das ganze Jahr über auf der Speisekarte stehen.
Wie Miesmuscheln filtern auch ihre elitären Verwandten das Meerwasser, um sich von Plankton zu ernähren, wodurch sie einen besonders hohen Zinkgehalt bekommen und stark aphrodisierend wirken sollen. Wissenschaftliche Belege dafür gibt es allerdings bis heute nicht. Es ist schwer zu erklären, warum Austern trotz ihres nicht ganz so hübschen Aussehens so beliebt sind. Vielleicht einfach, weil sie nach Meer riechen und schmecken, uns an Meerjungfrauen und Geschichten von Seefahrern erinnern. Der russische Schriftsteller Anton Tschechow widmete ihnen eine Kurzgeschichte. Sein tragischer Held verzehrte allerdings aus Verzweiflung die Schalen – keine gute Idee.
Stilvoll genießen
1 Es braucht schon ein wenig Übung, um eine Auster richtig zu öffnen. Der bauchige Teil der Schale sollte dabei unten liegen und die spitz zulaufende Seite in Richtung Körper zeigen. Die Flüssigkeit, die während des Öffnens austritt, sollte idealerweise in einer Schüssel auf- gefangen werden.
2 Ziehen Sie unbedingt Schutz- handschuhe an, bevor das Austernmesser zum Einsatz kommt. Das wird am Scharnier der Schale angesetzt und leicht gedreht, um die Schale zu knacken, wobei diese nicht zerbrechen darf. Im Anschluss wird das Messer vorsichtig in die Auster geschoben und der obere Schließmuskel durchtrennt. Dabei das Fleisch nicht verletzen.
3 Die Auster sollte frisch und nach Meer riechen. Sonst ist sie ver- dorben und muss (!) sofort entsorgt werden. Manche durchtrennen vor dem Servieren auch den unteren Schließmuskel. Wer mag, gibt noch etwas von der aufgefangenen Flüssigkeit auf die Meeresfrüchte.
Die Austern für diese Strecke lieferte der Londoner Fischhändler Moxon’s Fresh Fish. http://moxonsfreshfish.com
Wit and Wisdom
- Saison: in den R-Monaten von September bis April (in den Sommermonaten laichen sie)
- Zucht: ja
- Kleinste Größe: 5 cm
- Omega-3-Gehalt: mittel
- Fangmethode: mit speziellen Maschinen oder per Hand
- Gebiete: von der pazifischen Region bis zur US-Küste und den Küsten von England, Irland und Schottland. In Nordeuropa und Skandinavien gibt es ausgezeichnete Austern, und die Züchtungen aus Japan zählen weltweit zu den besten
- Rocky-Mountain-Austern oder auch Prärie-Austern sind Euphemismen für Stierhoden.
- Eigens für die berühmte, asiatische Austernsauce werden extra-große Pazifische Austern gezüchtet.
- Perlen entstehen, wenn die Muschel sich gegen Fremdkörper wehrt.
- „The world is my oyster“ – „die Welt ist meine Auster“, heißt es bei Shakespeare. Und meint: Wer reich ist, dem liegt die Welt zu Füßen.
- Die kleine Olympia-Auster hat eine Handelsgröße von gerade mal fünf Zentimetern.
- Ellis Island bei New York hieß einmal Austerninsel.
- Der britische Schriftsteller Thackeray verglich die Größe Amerikanischer Austern mit der eines Babys.
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