Radieschen In Season

Eat British produce when it’s at its best.

Radieschen

Sie sind pink, violett oder rot und unterscheiden sich gern auch in ihrer Form und Größe. Knackig, scharf und ziemlich lecker sind sie aber alle, sagt Clarissa Hyman

Sitzen Sie bequem? Sehr gut. Denn dieses Mal fangen wir mit einer Fabel an, die ich noch aus meiner Kindheit kenne. Sie handelt von einem kleinen, chinesischen Junge, der einen Radieschensamen pflanzte. Anfangs hatte die Knolle die Größe eines Tischtennisballs, dann von einer Reisschüssel und schließlich war sie so groß wie der Junge selbst. Der Kleine wollte das Radieschen ernten, zog an seinen Blättern, aber ohne Erfolg. Ebenso seine Mutter und sein Vater – jeder aus der Familie scheiterte. Erst, als sie alle gemeinsam an den Blättern zogen, kam das gigantische Radieschen aus der Erde.

Die Moral: Gemeinsam können wir viel mehr erreichen als allein. Warum mir diese Geschichte seit vielen Jahren immer in Erinnerung geblieben ist? Ich mag den Gedanken, dass sich hinter einem schlichten Gemüse mehr verbirgt, als es viele beim ersten Blick vermuten würden. Zuerst sieht man nur diese hübschen, roten Knollen mit ihrem weißen Innenleben. Und dann – mit dem ersten Biss – gibt es den scharfen Wow-Effekt.

Den gibt es auch beim Eigenanbau. Weil Radieschen innerhalb von nur einem Monat und ohne großen Aufwand gedeihen, ja, man kann ihnen beim Wachsen quasi zusehen, sind sie bei Kindern besonders beliebt. Bei der Ernte sollte darauf geachtet werden, das Gemüse möglichst jung aus der Erde zu ziehen, da die Knolle sonst holzig im Biss werden kann. Die international bekannte Gärtnerin Sarah Raven hat noch einen weiteren Tipp: „Für Radieschen braucht man nicht zwingend einen Garten“, sagt sie. „Sie wachsen auch in einem Blumentopf auf der Fensterbank.“

Rettich und Radieschen sind Mitglieder der Brassica-Familie und wurden vermutlich erstmals von den alten Ägyptern vor 5000 Jahren angebaut. Der Food-Historiker Alan Davidson berichtete über verschiedene Bilder von archäologischen Funden, auf denen Radieschen abgebildet sind. Herodotus, ein antiker Schreiber, deutete schon damals an, dass Sklaven, die die Pyramiden bauten, zur Verpflegung Radieschen, Zwiebeln und Lauch bekamen. In China tauchte das Gemüse erstmals vor über 2000 Jahren auf. Im 16. Jahrhundert gelangte es schließlich durch spanische und portugiesische Seefahrer auch nach Amerika und etablierte sich somit dort.

Radieschen, im Fachjargon Raphanus sativus genannt, gibt es in verschiedenen Farben und Größen. Sie sind mit Rüben und Meerrettich verwandt, daher auch ihr pfeffriger Geschmack, wobei ein heißes, trockenes Klima für eine schärfere Note sorgt. Stammen die Radieschen dagegen aus der Winterzucht, ist ihr Geschmack milder, die Knollen selbst sind wässriger. Sarah Raven empfiehlt für den eigenen Garten die Sorte Cherry Belle. French Breakfast nennt sich die Variante mit den leuchtend-roten, länglich geformten Wurzeln und weißen Spitzen. Im Winter bekommt man oft die aromatische Black Spanish Round. Sie hat eine dunkle Schale und erinnert von der Größe her schon eher an Rote Bete. Noch größer sind allerdings die asiatischen Züchtungen wie Daikon, ein weißer Winterrettich, oder Mooli. Unbekannter ist eine Winter-Radieschensorte, die sich zwar Wassermelone nennt, aber um Verwechslungen vorzubeugen oft unter dem Namen Red Meat verkauft wird. Die Knollen sind außen weiß oder hellgrün, schneidet man sie an, zeigt sich ein zartpinkfarbenes Fruchtfleisch.

Auch wenn die Zucht von Radieschen kinderleicht ist, ihr Geschmack erfreut doch eher Erwachsene. Ich genieße Radieschen am liebsten wie die Franzosen: roh, mit noch etwas knackigem Grün dran und mit reichlich Butter und einer Prise Meersalzflocken garniert. Dazu passen einige Scheiben Baguette, welche die Schärfe zugleich etwas abmildern. In Frankreich sehr beliebt sind übrigens Radieschen mit Wachteleiern und Selleriesalz.

Neben der französischen Zubereitung gibt es natürlich noch andere Kombinationsmöglichkeiten. Radieschen schmecken wunderbar zu cremigem Schafskäse sowie zu Zitrusfrüchten und verleihen Kartoffel- oder Thunfischsalat einen knackigen Biss. Aber nicht nur die Knollen, auch das Grün des Gemüses sollte verwendet werden. Solo eignen sich die jungen Blätter beispielsweise gut für ein Pesto.

Radieschen schmecken auch gebraten, geschmort, gedünstet und geröstet – allerdings verlieren sie dabei ein wenig an Schärfe. Die asiatischen Sorten werden gern in Currys verwendet, landen als Belag auf vietnamesischen Sandwiches oder als Einlage in klaren Nudelsuppen. Selbst orientalischen Salaten mit Sesamdressing verleihen sie eine ganz besondere Note.

Und wenn doch mal die Ideen ausgehen, kann man aus ihnen immer noch eine Blüte schnitzen, wie es in Thailand üblich ist. Allerdings sollte die Knolle dafür nicht so groß sein wie die des kleinen Chinesen.

Wit and Wisdom

  • Radieschen enthalten Senföle, die ihnen ihre Schärfe verleihen.
  • Das in dem Gemüse enthaltene Raphanol regt die Gallensaftproduktion an. Die ätherischen Öle des schwarzen Rettichs wirken schleimlösend.
  • Kurt Tucholsky beschrieb die SPD in seinem Gedicht Feldfrüchte einst so: Sie blühe „harmlos, doof und leis’ wie bescheidene Radieschen: außen rot und innen weiß“.
  • Immer noch ein beliebter Kinderbuchklassiker: „Peter Hase, der Radieschen-Dieb“.
  • Im mexikanischen Oaxaca schnitzen die Locals traditionell am 23. Dezember Figuren aus riesigen Radieschen.
  • Das Wort Radieschen stammt aus dem Lateinischen: Radix heißt übersetzt Wurzel.
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