Tessin Schlemmerroute

Kerniges Alpenglück

Emma Sturgess besuchte den südlichsten Kanton der Schweiz zur Kastanienernte. Im Tessin knabberte sie leckere Nüsse und entdeckte eine wild-romantische Landschaft aus grünen Bergen und glasklaren Seen ...

Reise-Informationen

Das Klima im Tessin ist wesentlich milder als in anderen Schweizer Kantonen. Juli und August sind die wärmsten Monate mit Höchsttemperaturen von bis zu 30 Grad. Der Herbst ist angenehm gemäßigt mit Temperaturen von 15 bis 20 Grad. Landeswährung ist der Schweizer Franken (CHF), wobei ein Franken 92 Euro-Cent entspricht.


ANREISE
Swiss Air fliegt mehrmals täglich von Hamburg und Frankfurt über Zürich und Genf nach Lugano im Tessin. http://swiss.com
Lufthansa fliegt mehrmals täglich von Hamburg nach Zürich, von wo aus es per Zug in knapp drei Stunden ins Tessin geht. http://lufthansa.com


WEITERE INFORMATIONEN
Ticino Turismo ist das offizielle Fremdenverkehrsamt des Kantons Tessin mit vielen hilfreichen Informationen. Schweiz Tourismus bietet Informationen, Hotel- und Reisetipps rund um die verschiedenen Schweizer Regionen. http://myswitzerland.com


REISELEKTÜRE
Mit Hermann Hesse durchs Tessin Auf den Spuren des berühmten Schriftstellers, Dichters und Malers Hermann Hesse nimmt die Autorin Regina Bucher, Direktorin des Hermann-Hesse-Museums Montagnola, Sie mit auf zehn ausgewählte Wandertouren durch die atemberaubende Landschaft Tessins. Insel Verlag, 12 Euro


Reise Know-How Tessin und Lago Maggiore von Jürg Schneider und Eva Meret Neuenschwander ist ein umfangreicher Reiseführer durch den südlichsten Kanton der Schweiz, das Vorzimmer des Südens. Mit besten Sightseeing-Tipps und anschaulichen Karten. Reise Know-How, 19,50 Euro

Mitten im Herzen des Tessin spannt sich eine schmale Steinbrücke in 15 Metern Höhe über das türkisblaue Gebirgswasser des Verzasca. Bei Jugendlichen ein
beliebter Ort für Mutproben in Form eines gewagten Sprungs ins klare Nass – daher auch der Name: Ponte dei Salti, Brücke der Sprünge. Unsere Reiseführerin Marina erzählt uns, dass ihr Sohn ein stolzer Springer sei, aber dass so mancher das Wagnis schon mit dem Leben bezahlt hat. Der Verzasca fließt zum Lago Maggiore und durchquert dabei ein wunderschönes, wildes Tal, das wegen seiner Ursprünglichkeit bei Abenteurern und Wanderern hoch im Kurs steht. Die Region ist gezeichnet von waldreichen Bergen und Wasserfällen, aber auch von verlassenen Dörfern.

In Corippo leben nur noch 17 Einwohner. Das denkmalgeschützte Bergdorf klebt an einem so steilen Hang, dass die Corippeser ihren Hühnern Taschentücher um die Pürzel binden müssen, damit ihre Eier nicht ins Tal rollen. So heißt es jedenfalls. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – dieser steilen Hänge gehört dieser südlichste Kanton zu den schönsten Ecken der Schweiz. Tessin grenzt an zwei Seiten an die norditalienische Lombardei, und zur Trüffelsaison hat die Nähe zum Piemont ihren ganz besonderen Reiz. Kein Wunder, dass Italienisch auch die offizielle Amtssprache der Region ist.

Jetzt im Herbst ist Erntezeit. Seit Jahrhunderten sind die Edelkastanien, die dann überall reif von den Bäumen fallen, ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Die Kastanien reisten einst mit den Römern ein und breiteten sich schnell zu ganzen Wäldern aus. Nicht zuletzt, weil es auch einen alten Brauch gibt: Wenn ein Baby zur Welt kommt, soll ein Kastanienbaum gepflanzt werden. So konnten die Brotbäume, wie sie auch genannt werden, im gesamten Tal sesshaft werden, das Sammeln der Früchte zum beliebten Volkssport bei Einheimischen und Touristen avancieren. Das Entwickeln von neuen Rezepten hat im Tessin sogar regelrechten Wettbewerbscharakter. Den ganzen Herbst über gibt es Festivals, kaum eine Speisekarte kommt ohne Maronen aus. Auch wir können es kaum erwarten die Köstlichkeiten zu probieren und freuen uns besonders auf das Kastanienfest in Ascona.

Als die ersten Immigranten Mitte des 19. Jahrhunderts aus Italien ins Tessin kamen, schien die Polenta den traditionellen Maronen-Pudding zunächst als Grundnahrungsmittel vertreiben zu wollen. Gänzlich gelang ihr das jedoch nicht, wie die unzähligen Zubereitungsvarianten des Kastanien-Klassikers beweisen. In Moghegno im Maggia-Tal gibt es sogar noch das so genannte Grà, ein Räucherhäuschen, in dem Kastanien geräuchert, getrocknet und gehäutet werden, um sie haltbar zu machen. Früher war diese Arbeit überlebenswichtig, damit es auch im Winter genug zu essen gab. Lebensmittel haltbar zu machen war in den Alpen schon immer existenziell. Aus dieser Not heraus entstanden auch die berühmten Tessiner Restaurants, die Grotti.

Marina macht uns auf ein Steinhaus aufmerksam. Am Boden der Granitmauern entdecken wir ein Loch – es ist der Zugang zur Grotto, einer natürlichen Felshöhle, in der Wurst, Käse und andere Lebensmittel das ganze Jahr über kühl und trocken gelagert werden können. Schon früh fing man an, grobe Bänke und Tische vor diese Felskeller zu stellen, um vorbeikommende Reisende zu bewirten. Und so begründeten diese simplen Höhlen den Ursprung einer Tessiner Restaurantkultur, deren Tradition man noch heute zelebriert. Zu einer authentischen Grotto gehören stets auch traditionelle Speisen, die den Ursprung der Höhlenkeller reflektieren: würzige Wurst, gepökeltes Fleisch, aromatischer Käse, einfache Suppen und Eintöpfe, aber auch Polenta und natürlich die berühmte Torta di Pane. Dieser Tessiner Brotkuchen stammt aus der armen Alpinküche und wird aus simplem, altbackenem Brot zubereitet.

Wir kehren in der Grotto Redorta in Sonogno, im hintersten Winkel des Verzasca-Tals, ein. Die ge- mütliche Terrasse ist von Weinreben umrankt. Von unserem Platz aus blicken wir auf grüne Wiesen und eine spektakuläre Bergkulisse. Dieses Panorama und die urigen Steinhäuser mit ihren spitzen Dächern lassen keinen Zweifel daran, dass wir uns in der Schweiz befinden. Doch die Speisen auf unserem Teller schmecken nach Italien: Mortadella, Coppa und zarter Lardo. Dazu mächtige Polenta mit Gorgonzola und Stracchino. Während wir uns über die Köstlichkeiten hermachen, wollen wir von Marina wissen, was die Tessiner auszeichnet. „Wir sind offen und tolerant“, sagt sie. „Wir sind nicht neugierig und kümmern uns auch nicht um fremde Angelegenheiten.“ Und was denken die anderen Schweizer über euch? „Dass wir gern vor dem Haus sitzen und Wein trinken.“

Tessin ist friedlich, auch wenn es gelegentlich mal zu Spannungen zwischen den italienisch sprechenden Tessinern und ihren schweizerdeutsch sprechenden Landsleuten kommen kann. Vielen geht es nun mal gegen den Strich, dass die Nordschweizer hier Grundstücke kaufen. Auch gemeine Sprüche darüber, wie unproduktiv Tessin im Gegensatz zu anderen Kantonen sei, will niemand mehr hören. Aber auch, wenn der südliche Alpenbezirk wirtschaftlich gesehen eher Schlusslicht der Schweiz ist, zählt er doch zu einer ihrer schönsten Ecken.

Egal zu welcher Jahreszeit oder bei welchem Wetter – ein Spaziergang um den Lago Maggiore lohnt sich immer. Die am See liegenden Zwillingsstädte Ascona und Locarno haben jede für sich ihren ganz individuellen Reiz. Das am Nordufer gelegene Locarno ist mit rund 2300 Sonnenstunden im Jahr die wärmste Stadt des Landes. Die Altstadtgassen laufen auf die Piazza Grande zu, die jedes Jahr im August als Kulisse für die internationalen Filmfestspiele dient. An der Uferpromenade gedeihen Palmen und Zitronenbäume, und mit einem Wassertaxi erreicht man schnell und unkompliziert die bunten Märkte von Luino, Intra und Cannobio. Weil Locarno quasi nahtlos in Ascona übergeht, beschließen wir zu spazieren, statt mit dem Auto zu fahren. Unser Ziel ist das Luxus-Hotel Eden Roc, das unsere Basis für die nächsten Tage sein wird. Doch dazu müssen wir erst einmal den Maggia über die einzige und sehr geschäftige Brücke überqueren. Ascona ist ein bisschen kleiner und ruhiger als Locarno, verströmt dabei aber eine ordentliche Portion 50er-Jahre-Glamour. Hübsche Gassen laden zum Flanieren. Ja, hier ist die Welt noch in Ordnung.

Altes Handwerk und Bräuche werden im Süden der Schweiz wertgeschätzt und auch noch gelebt. In Sonogno, knapp 35 Kilometer nördlich von Ascona, treffen wir Fabrizio und Claudia Patà, die eine kleine Ziegenherde haben. Die Milch verarbeiten sie in ihrer eigenen Molkerei unter ihrem Haus. „Wir stellen insgesamt 20 verschiedene Käsesorten her. Die Nachfrage ist so groß, dass wir mit der Produktion kaum nachkommen“, sagt Fabrizio. Um nach seinen Ziegen zu sehen, muss er gut eineinhalb Stunden den Berg hinaufsteigen, um zu den Alpenwiesen zu gelangen. Während wir mit den beiden über Käse plaudern, kommen ihre kleinen Töchter herein und stibitzen kleine Häppchen von dem wunderbar weichen, leicht salzigen Robiola vom Tisch. Auch die älteren Käsesorten haben einen klaren Geschmack. Claudia erklärt uns, dass der Käse besonders gut mit Americano-Weintrauben harmoniert, eine süße Sorte, aus der auch Grappa gemacht wird.

Wieder auf der Moghegno-Straße treffen wir Lea und ihren Sohn bei der Trauben-Auslese. Wir können die Trauben riechen, bevor wir sie überhaupt sehen können. Wie eine süße Wolke hängt der Duft über den Kisten. Die meisten Früchte sind für den alambicco, den Destillierapparat, gedacht, in dem sie zu Grappa destilliert werden. Aber Lea kocht auch Saft, Sirup und Gelee aus ihnen oder backt ihre ganz eigenen Varianten der Torta della Nonna, die traditionell eigentlich eine Zitronencremetorte ist. Auf den Weinkarten der Restaurants besonders angepriesen wird der selbst angebaute Merlot der Region, während die heimische Bondola-Traube zu Tischwein verarbeitet wird.

Wieder zurück am Flussdelta bei Ascona treffen wir Brigitte Willi auf dem Landwirtschaftsbetrieb Terreni alla Maggia. Sie führt uns durch ihre Obstgärten, zeigt uns den Mais für die Polenta, den Hartweizen für die Pasta, Gerste für Bier sowie Kartoffeln, Spargel und Honig. Wir können es kaum glauben, als sie uns dann erzählt, dass auf der Farm sogar Reis angebaut wird. Auf der Landzunge zwischen Locarno und Ascona befindet sich seit 1997 das nördlichste Reisfeld der Welt. Jedes Jahr werden hier 450 Tonnen Loto-Reis, eine Art Risotto-Reis, geerntet. „Dieser Reis zerkocht nicht, sondern bindet Flüssigkeit perfekt und wird schön al dente“, sagt Brigitte stolz. „Und er ist wirklich sehr lecker!“

Als wir wieder im Eden Roc ankommen, dessen vier Restaurants ausschließlich mit regionalen Zutaten arbeiten, bestellen wir im La Brezza das Loto-Reis-Risotto mit Kürbis, Rosmarin und gebratener Wachtel – ein süß-erdiges Geschmackserlebnis.

Bevor wir zum Kastanienfestival aufbrechen, treffen wir uns noch mit Julie Guidotti, um über den Wochenmarkt in Bellinzona, der Hauptstadt des Tessins, zu bummeln. Julie ist Amerikanerin, die einen Einheimischen geheiratet hat und seitdem hier lebt. Wir treffen Händler für Bresaola, Luganighe-Würste und geräucherten Käse. Guidottis Abschiedsgeschenk für uns ist eine Bissoli, ein Schokoladengebäck mit weicher Maronencreme. Nur ein Vorgeschmack auf das, was uns als Nächstes erwartet ...

Endlich ist es so weit: Das Kastanienfestival in Ascona hat begonnen. Auf dem Fest werden die Edelkastanien in unzähligen Varianten zubereitet und angeboten: als Marmelade, Vermicelli, Sahnelikör oder als feines Mehl. Ein deutscher Koch hat eine Maronen-Linsensuppe im Angebot, und dann gibt es noch süßen Kuchen mit Ricotta und Maronen-Paste. Die Vermicelli sind unsere Favoriten. Die Pasta schmeckt wunderbar süß, die mehlige Konsistenz der Nüsse schmilzt auf der Zunge. Wir probieren rot- braune Nüsse, die in gigantischen Pfannen geröstet werden – noch warm sind sie einfach köstlich. Ohne Frage, bei dieser Reise haben wir eins auf die Nuss bekommen – und es war ein Fest.

Wo man am besten übernachtet

Hotel Eden Roc Diese Fünf-Sterne-Herberge liegt direkt am und mit genialer Weitsicht über den Lago Maggiore. Das Hotel verfügt über einen eigenen Privatstrand und einen exklusiven Jachthafen. Der Service ist überragend und die exquisite Küche in den insgesamt vier Restaurants macht selbst anspruchsvollste Gourmets glücklich. Der weitläufige Spa lädt zum Entspannen, der hauseigene Kneipp-Weg ist mit Steinen aus dem Maggia-Fluss gestaltet und belebt Kreislauf und Körper. Die Zimmer sind äußerst großzügig, freundlich-hell und modern eingerichtet. DZ ab 465 Euro, Ascona, +41-91-7857171, http://edenroc.ch


Pensione Ca’ Serafina Mitten im Maggia-Tal, in einem typischen Tessiner Dorf, liegt diese gemütliche Pension. Das Steinhaus aus dem 19. Jahrhundert ist von malerischen Weinbergen umgeben und bildet einen wunderbaren Ausgangspunkt für Wanderungen und Touren durch die Region. DZ ab 239 Euro, Lodano, +41-91-7565060, http://caserafina.com

Essen

Wenn nicht anders angegeben, gelten die hier genannten Preise für drei Gänge ohne Weinbegleitung


Grotto Redorta Polenta, kalter Aufschnitt und Ziegenkäse schmecken auf der von Weinreben umwucherten Terasse einfach herrlich. Die fantastische Aussicht auf die umliegenden Alpen gibt es inklusive. Etwa 47 Euro, Sonogno, +41-91-7461334, http://grottoredorta.ch


La Brezza Chefkoch Salvatore Frequente verwöhnt seine Gäste im Hotel- Restaurant des Eden Roc mit leichter, aber geschmacksintensiver, mediterraner Küche. Etwa 70 Euro, Ascona, +41-91-7857171, http://edenroc.ch


Osteria Malakoff Der Aufstieg zu dieser kleinen Grotto lohnt sich. Hier gibt es die beste Pasta weit und breit, im Herbst wird eine fantastische, traditionelle Torta di Pane serviert. Etwa 30 Euro für das Mittagessen, 57 Euro für das Abendessen, Ravecchia, +41-91-8254940


Albergo Ristorante Antica Posta Exquisite mediterrane Küche mit deutschen Akzenten erwartet Sie in diesem zauberhaften Lokal. Die Zutaten stammen von der nahegelegenen Farm Terreni alla Maggia. Etwa 53 Euro, Ascona, +41-91-7910426, http://anticaposta.ch


Ristorante La Froda Diese urige Grotto bewirtet seine Gäse schon seit 1928 in der schönsten Ecke des Val Bavona. Die Polenta ist genial! Etwa 35 Euro, Foroglio, +41-91-7541181, http://lafroda.ch

Emma Sturgess und Gary Latham reisten durch den Schweizer Kanton Tessin mit Unterstützung von Swiss Air http://swiss.com und der Schweizer Tourismusbehörde http://myswitzerland.com

This article was published on 15th February 2017 so certain details may not be up to date.




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