Ibiza Schlemmerroute

Auf der Party-Insel werden jetzt ruhigere Töne angeschlagen: Clarissa Hyman trifft junge Foodies, entdeckt einsame Buchten und genießt den lässigen Lifestyle am Mittelmeer. FOTO: NASSIMA ROTHACKER

Kurz bevor die Sonne am Abend ins Meer abtaucht, hüllt sie die ganze Insel in honigfarbenes Licht. Das Festland, die Klippen und vor allem die Felseninsel Es Vedrà, die knapp zwei Kilometer vor der Küste Ibizas liegt, wirken dann fast schon magisch. Der Duft von wildem Thymian und Jasmin liegt in der Luft, und plötzlich versteht man, warum die Insel bis heute eine so große Anziehungskraft hat. In den vergangenen Jahrzehnten waren sie alle da: Zuerst kamen die Aussteiger, Künstler und Bohemiens, dann die Raver und Feierwütigen, dann die Supermodels und die Popstars. Sie haben Spuren hinterlassen, doch weder die Mantras singenden Freigeister noch die wummernden Bässe der DJ-Gigs konnten die Insel erschüttern. Die Ibicencos – wie die Insulaner hier genannt werden – mögen sich wohl über die fremden Sitten gewundert haben, im Großen und Ganzen jedoch sieht man auf Ibiza vieles gelassen.

Wer sich vom Trubel und den schrill beleuchteten Partymeilen an der Küste fernhalten will, findet im Hinterland reichlich Gelegenheit dazu. Dort warten sattgrüne Hügel, schattige Wälder, Zitronenhaine, versteckte Buchten und urige kleine Dörfer mit nicht viel mehr als einer Kirche, einem Friedhof und einer Bar. Und dann das Meer, das mal hinter einer Kurve, mal zwischen Sträuchern, mal ganz unverhofft am Horizont auftaucht – indigoblau, türkis oder saphirfarben schimmernd.

Vielleicht ist es dieses Blau, das viele Ausgeflogene wieder zurück nach Hause kommen lässt. Vielleicht ist es auch die Familie, die auf Ibiza traditionell eine große Rolle spielt und ein Leben lang Dreh- und Angelpunkt bleibt. Oder es sind die kulinarischen Schätze der Insel, die die Menschen schützen und an die nächste Generation weitergeben wollen. So jedenfalls ist es bei den beiden Frauen Fina Prats und Pilar Gonzalez. Sie haben ihre Karrieren in der Umweltforschung beziehungsweise Tierheilkunde an den Nagel gehängt, um nach Ibiza zurückzukommen. Nun züchten sie Ziegen und stellen in ihrer Käserei Ses Cabretes Produkte nach einem alten, überlieferten Rezept her.

Der Käse kommt dann eine halbe Stunde Autofahrt entfernt im traumhaften Hotel Atzaró auf den Tisch, mariniert in Olivenöl, Orangenschale und Sternanis. Herzstück der weitläufigen Anlage, die im Landesinneren liegt, ist eine jahrhundertealte Finca aus der Familie der Besitzer. Sie ist umgeben vom Hotel mit Spa und Restaurants, dem Pool sowie dem großen Bio-Garten, aus dem viele Zutaten für die Gerichte stammen. Beim Essen lokal zu denken hat auf Ibiza eine lange Tradition. Zu manchen Zeiten im Laufe der Geschichte war es überlebenswichtig. Doch einige Produkte wurden auch exportiert: Das Meersalz etwa, das bis heute „weißes Gold“ genannt wird, wurde quer durch den Mittelmeerraum gehandelt.

Heute wirbt die Gastronomie-Szene mit Nachhaltigkeit und biologisch angebauten Produkten. Dabei sind diese Methoden für die Ibicencos keineswegs neu. In den vergangenen Jahren war vielerorts schlicht und einfach kein Geld für chemische Düngung oder Pestizide da. Man aß, was der Garten eben hergab. Die jungen Generationen nennen das „Farm-to-Fork“-Konzept, bei dem es neben dem äußerst sparsamen Einsatz von Pestiziden und biologisch-dynamischem Anbau auch um weniger Lebensmittelverschwendung geht. Denn darin, dass Fleisch, Fisch, Öl, Salz, Käse, Obst und Gemüse der Insel wertvolle Güter sind, sind sich alle Generationen einig.

Und trotzdem hat das Verständnis der alteingesessenen Insulaner für das, was die Jungen aus den Inselzutaten machen, Grenzen: Carob zum Beispiel ist ein Pulver aus den getrockneten Früchten des Johannisbrotbaums. Es wurde früher als Tierfutter eingesetzt. Längst ist das braune Pulver aber zum Superfood aufgestiegen. Im angesagten Boutique-Hotel Los Enamorados kommt es als leckeres Dessert mit Schokolade auf die Karte. Für diesen Mix aus trendiger Zutat und historischem Inselprodukt haben die Älteren oft nur ein Kopfschütteln übrig.

Ronnie Anderson ist einer der wenigen „Zugezogenen“, der mit seinem Biohof Ca’n Pere Mussona im Osten der Insel eine Brücke zwischen den Einheimischen und der Welt jenseits des Mittelmeers schlägt. Er züchtet traditionelle Ibiza-Hennen sowie eine einheimische Schafrasse. Sein ganzer Stolz aber sind seine Schwarzen Schweine: „Es gab sogar Zeiten, da waren die Tiere eine Art Währung“, sagt er. „Heute sind allerdings nur noch etwa 40 Exemplare übrig. Und die Arbeit mit ihnen ist und bleibt anstrengend. Denn obwohl sie einen ganz tollen Charakter haben, sind sie wirklich schlechte Mütter, und zudem werden sie schnell unfruchtbar“, erklärt Ronnie und schmunzelt. „Aber ihr Fleisch und vor allem die daraus hergestellte Sobrassada (würzige Rohwurst) haben ein fantastisches Aroma und sind köstlich.“

Nachhaltigkeit schlägt auf Ibiza immer größere Wellen: Die Ibiza Preservation Foundation setzt sich mehr und mehr für profitable lokale Produkte, gute Wasserqualität sowie den Erhalt der hier typischen Mandelbäume ein. Die Organisation Oli D’E garantiert, dass Olivenöl mit ihrem Label Extra Virgin-Qualität hat und von Olivenbäumen stammt, die auf Ibiza kultiviert wurden.

Auch die jungen Köche auf Ibiza wagen mit den Zutaten der Insel Neues. Ihr Motto: bunt, einfach, frisch. So auch David Reartes. Ihm gehört das Restaurant Re.art in einer kleinen Shoppingstraße in Eivissa. Dass sein Beruf längst mehr als ein Brotjob für ihn ist, zeigt das Tattoo auf seinem Arm: Dort prangt das Logo des Restaurants: ein Messer. Und zwar eines, das bei der Matanza, einer traditionellen Schweineschlachtung, verwendet wird. Weil er von der kulinarischen Geschichte der Insel so fasziniert ist, hat er sich für sein Restaurant eine fermentierte Fischsauce – ähnlich der römischen Würzsauce Garum – ausgedacht. Er will seinen Gästen etwas Besonderes bieten, dabei aber authentisch bleiben: „Ich arbeite hart, um gute, ehrliche Produkte anbieten zu können“, sagt er. „Viele Restaurants werben zum Beispiel mit Fleisch von Schwarzen Schweinen. Es ist aber nicht viel auf dem Markt, weil es nur noch so wenige Tiere gibt.“

Der ehemalige Noma-Koch Boris Buono arbeitet heute in der trubeligen Altstadt von Eivissa. Wäre er nicht Koch geworden, dann bestimmt Bauer, sagt er. Die meiste Zeit verbringt er damit, alte Getreidesorten ausfindig zu machen, oder er stromert durch die Natur – auf der Suche nach aromatischen Kräutern. Auf die Frage nach seinem Kochstil antwortet er: „Think global, eat local.“ Ibiza inspiriert ihn dabei auf besondere Weise: „Vor ein paar Jahren habe ich als Koch zuerst ein Gericht kreiert und dann die passenden Zutaten gesucht. Heute finde ich ein spannendes Produkt und denke mir ein passendes Gericht dazu aus“, sagt er.

Ein Ansatz, dem José Miguel Bonet zu 100 Prozent zustimmen würde. Seine Familie ist quasi der Inbegriff der „Farm-to-Table“- Bewegung. Er zählt zu den hochgelobten Jungköchen in Spanien. Salat, Gemüse und Obst züchtet er in bester Bio-Qualität auf seinem eigenen Hof, der an ein ausgeklügeltes historisches Bewässerungssystem mit frischem Quellwasser angeschlossen ist. Sein Dorf ist malerisch: urige Häuschen, wilde Blumen, Vogelgezwitscher. José Miguel Bonet betont, es sei die es gegründet. Auf der Karte stehen nun, im Gegensatz zu früher, auch moderne Gerichte, doch die Ibiza-Klassiker wie Arroz a Banda kocht auch José noch immer auf einem Holzofen.

Auch Toni ,Aigües Blanques‘ ist in zweiter Generation am Werk. Am malerischen Strand Aguas Blancas führt er die gleichnamige Strandbar, die sein Vater 1978 eröffnet hat. Bis heute geht es hier einfach zu: Man isst Bocadillos (Sandwiches), trinkt Mojitos und blickt dabei aufs Meer. „Auf der Insel hat sich so vieles verändert“, sagt Toni. „Ich bleibe lieber hier im Norden, wo es immer noch ruhig ist. Zu den Megareichen, die neuerdings auf die Insel strömen und für ein Abendessen 2000 Euro hinblättern, halte ich lieber Abstand.“ Ibiza ist noch immer eine Insel der Kontraste: Club-Szene und Katholizismus, wilde Natur, Klippen, Salinen und gigantische DJ-Gigs am Strand. Doch es gibt mehr und mehr Auflagen für die riesigen Clubs und Beach Bars, und die Partywütigen reisen nicht mehr in Strömen an. Wer heute kommt, sucht meist Ruhe, gutes Essen und den Zauber der Insel. Denn ihre Ursprünglichkeit hat sich Ibiza trotz allem bewahrt.

Die Brots-Geschwister betreiben eine kleine Strandbar – die Einheimischen nennen solche Lokale auch Chiringuito –, in der Fisch und Meeresfrüchte von den Fischern im Ort auf den Tisch kommen. „Uns geht es nicht um Geld“, sagen sie. Und man kauft es ihnen ab. Denn Werbung machen sie für ihr Lokal mit Absicht keine. „Wir sind nach der Uni wieder hierher zurückgekommen. Es ist einfach unser Strand, unser Zuhause. Wir lieben es hier.“ Wo genau die Bar liegt? Tja, Ibiza ist eben noch immer voller Geheimnisse, die es zu entdecken gilt.

Clarissa Hyman und Nassima Rothacker reisten mit freundlicher Unterstützung des Ibiza Tourist Boards nach Ibiza. http://ibiza.travel

This article was published on 10th December 2020 so certain details may not be up to date.

Tweet